Gegen die Kriminalisierung der HIV-Übertragung

"Wir sind keine Engel ..." - Aktion von POSITHIV HANDELN zum ColognePride 2009

Die Aktion WIR SIND KEINE ENGEL von POSITHIV HANDELN, in Kooperation mit ALL AROUND AIDS, zum CSD 2009 in Köln, soll die Öffentlichkeit auf die Entkriminalisierung von HIV und Aids aufmerksam machen und die Solidarität für Menschen mit HIV/Aids und deren selbstbestimmten Lebens demonstrieren. Darüber hinaus soll zum Ausdruck gebracht werden, dass es nicht erstrebenswert ist, Bestandteil einer doppelmoralisch verhafteten Gesellschaft zu sein, sondern dass Vielfalt, Selbstbewusstsein, Selbstbestimmung und Offenheit das sind, wofür die Aidshilfe NRW und POSITHIV HANDELN stehen.

Eine Kriminalisierung der HIV-Übertragung ist nur dann gerechtfertigt, wenn HIV absichtlich oder böswillig übertragen wird, um anderen zu schaden. Für solche Einzelfälle können und sollten bestehende strafrechtliche Bestimmungen angewendet werden, statt neue HIV-spezifische Gesetze zu verabschieden. Hier werden zehn Gründe vorgestellt, weshalb die Kriminalisierung der HIV-Übertragung im Allgemeinen ungerecht und ineffektiv ist.

Die einzelnen Punkte findest nachstehend in der Übersicht. Die Texte sind von dem Open Society Institute und wurden von der Deutschen AIDS-Hilfe ins Deutsche übersetzt.

Punkt 1 : Die Kriminalisierung der HIV-Übertragung ist nur dann gerechtfertigt, wenn HIV absichtlich oder böswillig übertragen wird, um anderen zu schaden. Für solche Einzelfälle können und sollten bestehende strafrechtliche Bestimmungen angewendet werden, statt neue HIV-spezifische Gesetze zu verabschieden.

Der am häufigsten von politischen Entscheidungsträgern vorgebrachte Grund für die Kriminalisierung der (potenziellen oder tatsächlichen) HIV-Übertragung lautet: Personen, die HIV übertragen oder andere einem HIV-Risiko aussetzen, sollten bestraft werden, weil ihr Verhalten „moralisch falsch“ oder „gefährlich“ ist.

Die meisten Menschen aber, die HIV übertragen, wissen entweder nicht, dass sie infiziert sind und HIV übertragen, oder fürchten, dass die Offenlegung ihres HIV-Status zu Gewalt, Diskriminierung, Ablehnung durch die Familie und weiteren negativen Folgen aufgrund ihres HIV-Status führt. Diese – häufig wohlbegründeten – Befürchtungen entheben den Einzelnen nicht seiner moralischen Verpflichtung, andere vor einer Infektion zu schützen. Die strafrechtliche Verfolgung von Menschen allerdings, die aus Angst vor Diskriminierung das Risiko einer Schädigung anderer in Kauf nehmen, wird weder deren Verhalten verändern noch Gerechtigkeit herbeiführen.

Sicher gibt es Personen, die anderen durch die Übertragung von HIV böswillig Schaden zufügen wollen und das auch erreichen. In diesen Fällen ist die Anwendung des Strafrechts gerechtfertigt. Eine solche begrenzte Anwendung steht auch in Übereinstimmung mit den Empfehlungen des gemeinsamen Positionspapiers „Criminalization of HIV Transmssion“ von UNAIDS und UNDP (dem Aids- bzw. dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen). Doch selbst mit Blick auf solche Fälle ist die Einführung HIV-spezifischer Straftatbestände im Allgemeinen nicht gerechtfertigt, da die bestehenden Gesetze für die Bestrafung der vorsätzlichen HIV-Übertragung ausreichen; so können etwa Bestimmungen zur Körperverletzung auch bei HIV-Übertragungen angewendet werden.

Und ist es auch angemessen, die absichtliche und böswillige HIV-Übertragung im Rahmen der bestehenden Strafgesetze zu verfolgen, so muss doch dafür Sorge getragen werden, dass dies nicht in großem Stil geschieht. In der überwältigenden Mehrheit der Fälle würde die strafrechtliche Verfolgung der (potenziellen oder tatsächlichen) HIV-Übertragung nämlich eher Schaden anrichten als nutzen. So kann sie etwa dann nicht gerechtfertigt werden, wenn kein signifikantes Risiko einer HIV-Übertragung bestand oder der HIV-positive Partner

  • nicht wusste, dass er HIV positiv ist,
  • nicht wusste, wie HIV übertragen wird,
  • den Partner darüber informiert hatte, dass er positiv ist (oder Gründe für die Annahme hatte, dass sein Partner dies wusste),
  • seinen HIV-Status aus Angst vor Gewalt oder anderen schwerwiegenden negativen Konsequenzen nicht offengelegt hat,
  • Maßnahmen der Risikoreduktion ergriffen hat (zum Beispiel Safer Sex unter Verwendung von Kondomen praktiziert oder andere Vorkehrungen getroffen hat), oder
  • sich vorher mit dem Partner auf das gemeinsam akzeptierte Risikolevel geeinigt hat.

Auch die Ausweitung der strafrechtlichen Verfolgung auf Fälle, in denen Personen anderen nicht absichtlich Schaden zufügen wollten, aber „fahrlässig“ oder „leichtfertig“ gehandelt haben, wäre eine unangemessene, schlechte Politik. In solch einem Szenario könnte das Gesetz auf so viele Fälle angewendet werden und wären die Fakten so schwierig zu beweisen, dass dies zahlreiche unbeabsichtigte negative Konsequenzen haben könnte (diese negativen Konsequenzen werden unter den Punkten 2 bis 10 diskutiert).

Anstatt das Strafrecht auf weitere Fälle als die bösartige und willentliche HIV-Übertragung anzuwenden, sollten die Staaten vielmehr Menschen mit HIV und Aids darin unterstützen, ohne Angst vor Stigmatisierung und Diskriminierung HIV-Tests in Anspruch zu nehmen, ihren HIV-Status offenzulegen und Safer Sex zu praktizieren. Zu einer solchen Unterstützung gehört auch der Schutz von Menschen mit HIV vor Diskriminierung, etwa durch die Verabschiedung und Umsetzung von Antidiskriminierungsgesetzen und die Förderung von öffentlichen Kampagnen gegen Stigmatisierung. Ist der Grad der Stigmatisierung und Diskriminierung in einem sozialen Kontext nur gering, wird dies Menschen mit HIV dabei unterstützen, sich testen zu lassen und die Übertragung von HIV zu vermeiden.

Die Anwendung des Strafrechts auf (potenzielle oder tatsächliche) HIV-Übertragungen läuft diesen wichtigen Public-Health-Zielen zuwider. Sie fördert ein Klima der Angst und der Vergeltung, anstatt „soziale und rechtliche Verhältnisse zu schaffen, die dazu beitragen, dass der HIV-Status ohne Angst und freiwillig offengelegt werden kann“ – Verhältnisse, zu deren Schaffung sich zahlreiche Länder durch Unterzeichnung der Political Declaration on HIV/AIDS (2006) verpflichtet haben.

"Es gibt keinerlei Beweis dafür, dass Strafgesetze zur HIV-Übertragung sich wesentlich auf die Ausbreitung von HIV auswirken oder die Epidemie stoppen könnten. Vorrang muss daher die Verbesserung des Zugangs zu verständlichen und evidenzbasierten Präventionsmethoden im Kampf gegen HIV/Aids haben."
(aus den Beschlüssen des 1. Globalen Parlamentariertreffens zu HIV/Aids, Manila, 2007)

Punkt 2: Die Anwendung des Strafrechts auf die (potenzielle oder tatsächliche) HIV-Übertragung dämmt die HIV-Ausbreitung nicht ein.

Politische Entscheidungsträger argumentieren gelegentlich, dass durch die Anwendung des Strafrechts auf die HIV-Übertragung die Ausbreitung von HIV eingedämmt werden könne, indem man einzelne Straftäter „aus dem Verkehr ziehe“ oder andere durch Abschreckung von einer HIV-Übertragung abhalte. Tatsächlich aber wurde nie nachgewiesen, dass die Anwendung des Strafrechts auf HIV-Risikoverhalten Menschen an der HIV-Übertragung hindert, sie „resozialisiert“ oder abschreckt.

Hinderung: Um die Ausbreitung der HIV-Epidemie einzudämmen, müssten unzählige Menschen daran gehindert werden, ungeschützten Sex zu haben, Spritzen gemeinsam zu verwenden oder andere Risiken einzugehen, was sich wohl durch kein HIV-spezifisches Strafgesetz erreichen lässt. Auch die Inhaftierung von Menschen mit HIV verhindert die HIV-Übertragung nicht. HIV-Risikoverhalten ist in Gefängnissen weit verbreitet, und die meisten Gefängnissysteme lehnen die Einführung evidenzbasierter Präventionsmaßnahmen, z. B. die Verteilung von Kondomen oder von sterilem Injektionsbesteck, weiterhin ab und versäumen es, geeignete Maßnahmen gegen die häufig vorkommenden Vergewaltigungen und anderen Formen der sexuellen Gewalt zu ergreifen.

Resozialisierung: Es gibt kaum Beweise dafür, dass Strafen für die potenzielle oder tatsächliche HIV-Übertragung eine Person so weit „läutern“, dass sie künftig jegliches HIV-Risikoverhalten vermeidet. Die meisten HIV-Übertragungen stehen im Zusammenhang mit sexueller Aktivität und/oder Drogengebrauch – komplexem menschlichem Verhalten, das sich durch das stumpfe Werkzeug der „Kriminalstrafe“ nur schwer ändern lässt. Und auch Gefängnisse bieten keine Resozialisierungsmaßnahmen rund um HIV-übertragungsrelevantes Verhalten an. Individuelles Verhalten lässt sich viel eher durch Beratung und Unterstützung sowie durch Maßnahmen erreichen, die die zugrunde liegenden Ursachen für HIV-Risikoverhalten angehen.

Abschreckung: Es liegen keine wissenschaftlichen Belege dafür vor, dass die strafrechtliche Verfolgung oder deren Androhung Menschen mit HIV in nennenswertem Umfang dazu ermutigen würde, ihre Sexualpartner über ihren HIV-Status zu informieren, oder sie von HIV-Risikoverhalten abhalten könnte. Die meisten von HIV bedrohten oder betroffenen Menschen sind bereits überzeugt davon, dass sie eine Verantwortung dafür haben, andere vor einer HIV-Infektion zu schützen – dies insbesondere dann, wenn sie Zugang zu qualifizierter HIV-Beratung und zu Präventionsangeboten bzw. -mitteln haben, beispielsweise zu Kondomen bzw. Femidomen2 und zu Maßnahmen zur Senkung des Risikos einer Mutter-Kind-Übertragung. Allerdings wissen die meisten Menschen mit HIV in der Phase, in der das Risiko der HIV-Übertragung am größten ist (in den ersten Monaten nach der Ansteckung), noch gar nicht, dass sie infiziert sind, wodurch der präventive Nutzen eines wie auch immer gearteten Straftatbestandes eingeschränkt wird.

"Entkriminalisierung, nicht mehr Kriminalisierung – das ist es, was wir brauchen."
(Michael Kirby, Richter am australischen Obersten Gerichtshof, 2007)

Punkt 3: Die Anwendung des Strafrechts auf die HIV-Übertragung untergräbt die HIV-Prävention.

Die Anwendung des Strafgesetzes auf HIV-Übertragungen kann Menschen davon abhalten, sich testen zu lassen und ihren HIV-Status in Erfahrung zu bringen, da in einem Prozess das Nichtwissen über den eigenen Status das beste Mittel der Verteidigung sein könnte. Und in der Tat: In Rechtssystemen mit HIV-spezifischen strafrechtlichen Bestimmungen sehen sich die Mitarbeiter in der HIV-Testberatung meist gezwungen, auf die Folgen des HIV-Tests hinweisen, d. h. darauf, dass die Klienten sich strafbar machen, wenn sie trotz positivem Testergebnis weiterhin ungeschützten Sex haben. Darüber hinaus werden diese Berater mitunter dazu gezwungen, den HIV-Status eines Klienten in einem Strafprozess offenzulegen. Dies läuft der Gesundheitsfürsorge und der Werbung für freiwillige HIV-Tests zuwider. Zu den weiteren unbeabsichtigten Folgen der Anwendung des Strafrechts auf die HIV-Übertragung gehören

  • ein falsches Sicherheitsgefühl: Wird die rechtliche Verantwortung für die Vermeidung von HIV-Übertragungen ausschließlich den Menschen mit HIV zugeschrieben, untergräbt das die Präventionsbotschaft, dass jeder Schutzmaßnahmen ergreifen sollte, unabhängig von seinem HIV-Status, und dass die sexuelle Gesundheit in der gemeinsamen Verantwortung der Sexualpartner liegt. Das kann dazu führen, dass man (fälschlicherweise) annimmt, der Partner sei HIV-negativ (weil er nicht sagt, dass er positiv ist), und selbst keine Maßnahmen unternimmt, um sich vor einer HIV-Infektion zu schützen.
  • Misstrauen in der Beziehung zwischen Menschen mit HIV und Mitarbeitern des Gesundheitswesens: Menschen mit HIV könnten befürchten, dass die Information über ihren HIV-Status strafrechtlich gegen sie verwendet wird. Dies erschwert eine gute Behandlung und Betreuung und könnte sich auch negativ auf die Teilnahme von HIV-Positiven an dringend notwendigen Studien auswirken.

"Es ist weitaus einfacher, Beratung und Unterstützung in punkto Safer Sex außerhalb des Strafrechtssystems zu bekommen – in den Schwerpunktpraxen oder Kliniken, in die Menschen mit HIV gehen. Die Strafverfolgung unter Hinzuziehung medizinischer Akten schreckt Menschen, die Schwierigkeiten mit Safer Sex haben, eher davon ab, sich helfen zu lassen. Das ist ein entscheidender Punkt, wie die strafrechtliche Verfolgung die Leute davon abhält, etwas gegen die Weiterverbreitung von HIV zu tun."
(Lisa Power, Abteilungsleiterin Policy & Public Affairs, Terrence Higgins Trust, 2008)

Punkt 4: Die Anwendung des Strafrechts auf die HIV-Übertragung führt zu Angst und Stigmatisierung.

Beinahe dreißig Jahre Kampf gegen Aids haben gezeigt, wie wichtig es ist, das Schweigen rund um die Epidemie zu durchbrechen, offen über HIV zu reden und die Menschen zu ermutigen, positiv zu leben. Die Anwendung des Strafrechts auf die HIV-Übertragung (abgesehen von eng begrenzten Fällen) erreicht das Gegenteil. Sie schürt das Vorurteil, Menschen mit HIV seien unmoralische und gefährliche Kriminelle – und nicht, wie alle anderen auch, Menschen mit Verantwortung, Würde und unveräußerlichen Menschenrechten.

Die Einführung HIV-spezifischer Straftatbestände sowie die strafrechtliche Verfolgung von Menschen mit HIV wegen eines Verhaltens, das zur Übertragung von HIV führt oder führen könnte, wird oftmals begleitet von Hetzkampagnen, schlecht recherchierten Beiträgen in den Medien oder Äußerungen von prominenten Persönlichkeiten wie Strafverfolgern, Regierungsbeamten oder Abgeordneten. Eine solche Rhetorik kann Menschen nur davon abhalten, sich auf HIV testen und beraten zu lassen und offen und ehrlich über Aids zu sprechen.

Die strafrechtliche Verfolgung der (potenziellen oder tatsächlichen) HIV-Übertragung fördert auch die Verbreitung von Mythen und Fehlinformationen darüber, wie HIV übertragen (und nicht übertragen) wird. In manchen Verfahren wurden HIV-positive Menschen mit schweren Strafen belegt, weil sie jemanden gebissen, angespuckt oder gekratzt hatten, obwohl das Risiko einer HIV-Übertragung auf diesem Wege nachweislich außerordentlich gering (und in manchen Fällen überhaupt nicht vorhanden) ist. Andere Strafrechtssysteme verleiten die Strafverfolger zu reißerischen und falschen Aussagen zum Risiko einer HIV-Übertragung, obwohl dieses Risiko häufig nur minimal ist – etwa bei Menschen mit HIV unter effektiver antiretroviraler Therapie und ohne sexuell übertragene Infektionen. Solche Verurteilungen und Aussagen durch die Strafverfolger untergraben nicht nur die Bemühungen, die Öffentlichkeit über HIV aufzuklären, sondern verbreiten auch Angst und Schrecken unter HIV-infizierten Menschen.

"Tragischerweise steht hinter den Kriminalisierungsbestrebungen vor allem das Stigma. Ein Stigma mit Wurzeln in einem Moralismus, der aus der sexuellen Übertragung von HIV herrührt, das allzu oft den Hauptimpuls für die Durchsetzung dieser Gesetze gibt. Noch tragischer ist es, dass solche Gesetze und die strafrechtliche Verfolgung wiederum Öl ins Feuer der Stigmatisierung gießen. Die Strafverfolgung der HIV-Übertragung und der eiskalte Inhalt der Verordnungen selbst verstärken nur die Vorstellung, eine HIV-Infektion sei etwas Beschämendes, Erbärmliches und Unwürdiges."
(Edwin Cameron, Richter am Obersten Gerichtshof von Südafrika, 2008)

Punkt 5: Statt Frauen Gerechtigkeit zu verschaffen, bringt die Anwendung des Strafrechts auf die HIV-Übertragung sie in Gefahr und führt zu noch stärkerer Unterdrückung.

Manch einer befürwortet die Anwendung des Strafrechts auf die HIV-Übertragung, weil er glaubt, man schütze Frauen und Mädchen so vor einer Ansteckung mit HIV durch untreue Partner, durch sexuelle Gewalt oder durch Partner, die ihnen nicht mitteilen, dass sie HIV-positiv sind. Weltweit werden viele Frauen und Mädchen zum Sex genötigt oder gezwungen. Neben gesundheitlicher und psychologischer Hilfe sowie speziellen Vergewaltigungs-Krisendiensten haben diese Frauen und Mädchen ein Recht auf Gerechtigkeit angesichts der gegen sie verübten Gewalt.
Die Anwendung des Strafrechts auf die HIV-Übertragung jedoch trägt nichts dazu bei, etwas gegen die geschlechtsbasierte Gewalt oder die enorme wirtschaftliche, soziale und politische Ungleichheit zu tun, die der überproportional hohen HIV-Vulnerabilität von Frauen und Mädchen zugrunde liegt. Im Gegenteil: Solche Gesetze dürften weit häufiger zur Strafverfolgung von Frauen als zu der von Männern herangezogen werden, und dies aus mindestens drei Gründen:

  • Die Kenntnis des eigenen HIV-Status ist bei Frauen verbreiteter als bei ihren männlichen Partnern: Da Frauen häufiger mit dem Gesundheitssystem zu tun haben (einschließlich Schwangerschaft und Geburt), erfahren sie in der Regel früher als ihre männlichen Partner von einer etwaigen HIV-Infektion – insbesondere, weil Regierungen verstärkt das aktive Anbieten von HIV-Tests und HIV-Beratung im Zuge der Geburtsvorbereitung vorschreiben. Wo die (potenzielle oder tatsächliche) HIV-Übertragung kriminalisiert wird, müssen HIV-positiv getestete Frauen, die das Risiko strafrechtlicher Verfolgung vermeiden wollen, Partnern ihren HIV-Status offenlegen, auf Sex verzichten oder auf die Verwendung von Kondomen bestehen. Für viele Frauen würde das jedoch bedeuten, dass ihnen Gewalt, Verstoßung, Enterbung, der Verlust ihrer Kinder und weiteres schweres Unrecht drohen. Die Verbindung von mehr Routinetests (insbesondere während der Schwangerschaft) und der Kriminalisierung der HIV-Übertragung stellt Frauen vor ein unlösbares Dilemma: Entweder riskieren sie Gewalt, wenn sie ihre Partner zu schützen versuchen, oder sie riskieren Strafverfolgung, wenn sie dies nicht tun.
  • Frauen wird eher die Schuld für eine HIV-Infektion zugeschrieben: Frauen wird von ihren Sexualpartnern, deren Familien und von ihren Communities eher die Schuld dafür geben, „HIV nach Hause zu bringen“, als Männern. Dies kann zu Verstoßung, Verbannung, Verlust des Eigentums und des Erbes und des Sorgerechts für die Kinder führen. Gesetze zur Kriminalisierung der HIV-Übertragung böten lediglich ein weiteres Werkzeug zur Unterdrückung von Frauen – dies insbesondere mit Blick darauf, dass die „Schuldfrage“ in vielen (Gewohnheits- und formellen) Rechtssystemen weiterhin eine wichtige Rolle bei Scheidungen und Erbangelegenheiten spielt.
  • Frauen könnten wegen einer Mutter-Kind-Übertragung strafrechtlich verfolgt werden: Manche Gesetze zur Kriminalisierung der HIV-Übertragung sind so weit gefasst, dass auch Frauen darunter fallen, die HIV in der Schwangerschaft oder beim Stillen auf ihr Kind übertragen. Millionen von Frauen mit HIV oder Aids – denen häufig der Zugang zu Angeboten der Familienplanung und der reproduktiven Gesundheitsfürsorge oder zu Medikamenten, die die Mutter-Kind-Übertragung von HIV verhindern könnten, verwehrt ist – würden so, ob gewollt oder nicht, allein schon durch eine Schwangerschaft zu Straftäterinnen. Hier gibt es viele weit wirksamere Möglichkeiten, die Mutter-Kind-Übertragung von HIV zu vermeiden, beginnend damit, das Recht aller Frauen auf eine informierte Entscheidung über eine Schwangerschaft zu stärken und ihnen dafür Informationen und Dienstleistungen zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit anzubieten, der HIV-Prävention für Frauen und Mädchen Priorität einzuräumen, allen Frauen Angebote zur Verhütung ungewollter Schwangerschaften zu machen und HIV-positiven Frauen mit Kinderwunsch wirksame Medikamente zur Vermeidung einer HIV-Übertragung auf das Kind zur Verfügung zu stellen.

Die Kriminalisierung der HIV-Übertragung wird Frauen und Mädchen nicht vor sexueller Nötigung oder Gewalt (einschließlich Vergewaltigung und Vergewaltigung in der Ehe) mit der möglichen Folge einer HIV-Infektion schützen. Vielmehr setzen viele Länder, in denen es schon jetzt strenge Gesetze gegen Vergewaltigung gibt, diese Gesetze nicht durch. Die Regierungen haben aber die Pflicht, das Recht aller Frauen auf Freiheit von Gewalt zu fördern und zu schützen. Anstelle von zusätzlichen, unwirksamen HIV-spezifischen Gesetzen, die gegen sie gerichtet werden, haben Frauen und Mädchen ein Menschenrecht auf rasche, wirksame und energische Strafverfolgung aller Formen geschlechtsbasierter Gewalt und auf medizinische und anderweitige Dienste, die sie bei der Reduzierung ihres HIV-Ansteckungsrisikos unterstützen – einschließlich des zeitnahen Zugangs zur Post-Expositions-Prophylaxe. Es ist eine tragische Ironie, dass manche Länder HIV-spezifische Straftatbestände als Schutzmaßnahme für Frauen vorschlagen, während es auf der anderen Seite kaum Fortschritte bei der Gleichstellung der Frauen und der Verhinderung geschlechtsbasierter Gewalt gibt.

Punkt 6: Gesetze zur Kriminalisierung der HIV-Übertragung sind zu weit gefasst und bestrafen oftmals Verhalten, das nicht schuldhaft ist.

Viele Gesetze zur Kriminalisierung der HIV-Übertragung sind handwerklich schlecht gearbeitet oder werden falsch angewendet; sie umfassen Verhaltensweisen, an deren Bestrafung kein gesellschaftliches Interesse besteht, und setzen unschuldige Menschen dem Risiko der Strafverfolgung aus. Manche Gesetze schreiben beispielsweise vor, dass Menschen mit HIV „alle Sexualkontakte“ über ihren Status informieren müssen. Das heißt, sie könnten auch dann verhaftet werden, wenn sie einfach nur jemanden küssen, ohne ihn zu informieren, dass sie HIV-positiv sind, oder wenn sie sonst etwas machen, mit dem keinerlei Risiko einer HIV-Übertragung verbunden ist. In der Praxis werden Menschen mit HIV sowohl nach neuen HIV-spezifischen Gesetzen als auch nach weiter gefassten vorhandenen Strafrechtsbestimmungen oft zu Freiheitsstrafen verurteilt, weil sie einen Sexualpartner dem HIV-Risiko ausgesetzt haben sollen, auch wenn das Risiko für den Partner minimal ist. So wurde beispielsweise in einem Fall ein HIV-infizierter Mann, der seinen Sexualpartner oral befriedigt hatte, zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt, obwohl das Risiko einer HIV-Übertragung dabei minimal oder nicht existent war.

Andere Gesetze kriminalisieren auch Menschen, die risikosenkende Maßnahmen wie z. B. die Anwendung von Kondomen ergreifen, Menschen, die ihren HIV-Status nicht kennen, oder Menschen, die nach Offenlegung des positiven HIV-Status einvernehmlichen Sex haben. So wurde z. B. in einem anderen Verfahren eine HIV-infizierte Frau nach den HIV-spezifischen Landesgesetzen verurteilt, weil sie Sex mit ihrem Partner hatte, obwohl der um ihren HIV-Status wusste und ein Kondom verwendete.

Manche Gesetze schließen selbst schwangere Frauen in ihren Geltungsbereich ein, indem sie alle Handlungen von Menschen mit HIV bestrafen, durch die HIV „vorhersehbarerweise“ auf eine andere Person übertragen wird. Dadurch würde eine HIV-positive Frau sich allein schon dadurch strafbar machen, dass sie schwanger wird. Mehrere afrikanische Gesetze sind so weit gefasst, dass eine schwangere Frau, die weiß (oder nur befürchtet), dass sie HIV-infiziert ist, verurteilt werden kann. Wenn sie „irgendetwas“ tut, bei dem die Möglichkeit der HIV-Übertragung auf andere besteht – das wäre z. B. bei der Geburt oder beim Stillen der Fall –, könnte sie nach dem Gesetz schuldig gesprochen werden, und zwar selbst dann, wenn das Baby nicht infiziert ist.

Manche Gesetze schließlich kriminalisieren jegliche „Unterlassung“, die zu einer HIV-Übertragung führt. So kann man sich allein schon dadurch strafbar machen, dass man keinen HIV-Test durchführen lässt, um sich über seinen eigenen Status zu informieren – ohne dabei zu berücksichtigen, ob ein HIV-Testangebot für die betreffende Person überhaupt zugänglich war.

"In Ländern wie Südafrika, in denen Menschen mit HIV immer noch stark diskriminiert werden, kann ein spezifisches Gesetz zur Kriminalisierung der HIV-Übertragung niemals eingeführt werden. HIV würde in den Untergrund gedrängt. Die Kriminalisierung würde alle Bemühungen durchkreuzen, die Inanspruchnahme von Tests und die freiwillige Offenlegung einer HIV-Infektion zu fördern. Sie würde außerdem zur Stigmatisierung führen und zwei parallele Gesellschaften von „uns“ und „denen“ schaffen."
(Henrietta Bogopane-Zulu, Mitglied des südafrikanischen Parlaments, 2007)

Punkt 7: Gesetze zur Kriminalisierung der HIV-Übertragung werden oft ungerecht, selektiv und ineffektiv angewendet.

Es überrascht nicht, dass in Ländern mit HIV-spezifischen Strafrechtsregelungen nur sehr wenige Fälle von potenzieller oder tatsächlicher HIV-Übertragung verfolgt werden. Der große Ermessensspielraum in der Frage, welche Fälle verfolgt werden, öffnet der Willkür Tür und Tor.

Gefahr der selektiven und willkürlichen Verfolgung: Vor dem Hintergrund des Stigmas, mit dem HIV noch immer behaftet ist, und der fortwährenden Diskriminierung von Menschen mit HIV werden Strafen überproportional häufig gegen jene verhängt, die sozial und/oder ökonomisch marginalisiert sind. So wurde etwa in einem Fall ein obdachloser Mann mit HIV zu 35 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, weil er einen Polizeibeamten anspuckte, der ihn wegen ungebührlichen Verhaltens festnahm. Viele weitere Fälle legen den Verdacht nahe, dass das Strafrecht häufig im Kontext sensationsträchtiger Umstände und nicht selten als Antwort auf emotionale Medienkampagnen beschworen wird, und zwar oft im Zusammenhang mit den am stärksten marginalisierten und stigmatisierten Gruppen der Gesellschaft, etwa Migranten und Flüchtlinge, Ausländer oder Sexarbeiter.

Gefahr von Verurteilungen ohne hinreichende Beweise: Der Nachweis, dass eine beschuldigte Person zum Zeitpunkt einer behaupteten Straftat HIV-positiv war, und der Nachweis, wer wen angesteckt hat und wann, ist nur schwer zu erbringen. In einer sexuellen Beziehung ist derjenige, dem eine HIV-Übertragung angelastet wird, in den meisten Fällen derjenige, der als Erster von seiner Infektion erfahren hat – aber nicht zwangsläufig der zuerst Infizierte. Und auch wenn die beschuldigte Person zuerst infiziert wurde, so kann sich der Sexpartner doch auch bei einer dritten Person angesteckt haben. Um eine Schuld zu beweisen, ist der wissenschaftliche Nachweis der Übertragung durch die beschuldigte Person erforderlich. In den letzten Jahren greifen Strafverfolger im Zusammenhang mit HIV-Übertragungen zunehmend auf „phylogenetische Tests“ zurück, sofern die notwendigen Ressourcen dafür vorhanden sind (was in den meisten Entwicklungsländern nicht der Fall ist). Bei diesen Tests untersucht man die genetische Verwandtschaft zwischen den HI-Viren der beiden Parteien. Solche Tests können allerdings nur Ähnlichkeiten zwischen den Viren aufzeigen, nicht jedoch zweifelsfrei die Quelle des Virus nachweisen. Was solche Nachweisverfahren tatsächlich aussagen (und was nicht), ist bei der Polizei, den Strafverfolgern, Strafverteidigern, Gerichten und den Medien, aber auch bei HIV-Infizierten und HIV-Organisationen oft nur unzureichend bekannt. Phylogenetische Tests sind außerdem sehr teuer in der Anwendung und für viele ressourcenschwache Länder unbezahlbar. Die Konsequenz aus all diesen Faktoren ist ein beträchtliches Risiko, dass Menschen ohne hinreichende Beweise verurteilt werden.

Verletzung der Privatsphäre: In einer Reihe von Fällen wurde die Vertraulichkeit von Patientendaten bzw. medizinischen Aufzeichnungen, die von Mitarbeitern des Gesundheitswesens oder Beratern verwahrt wurden, verletzt, um im Zuge strafrechtlicher Ermittlungen den HIV-Status einer Person in Erfahrung zu bringen. Solche Verletzungen der Vertraulichkeit können die Bereitschaft von Menschen mit HIV schwächen, mit Beratern über ihr Risikoverhalten zu sprechen, einem HIV-Test und einer HIV-Beratung zuzustimmen oder sich wegen anderer sexuell übertragener Infektionen, die das Risiko einer HIV-Übertragung erhöhen, behandeln zu lassen.

Punkt 8: Gesetze zur Kriminalisierung der (potenziellen oder tatsächlichen) HIV-Übertragung ignorieren die tatsächlichen Herausforderungen für die Prävention.

Anstatt das Strafrecht auf die potenzielle oder tatsächliche HIV-Übertragung anzuwenden, müssen die Regierungen ihren politischen Willen demonstrieren, Mittel zur Verfügung stellen und evidenzbasierte Programme beschließen, um all denjenigen Menschen HIV-Präventionsangebote zu machen, die solche Angebote benötigen. Manche Regierungen sträuben sich dagegen, wirksame und auf den Menschenrechten basierende HIV-Präventionsmaßnahmen einzuführen, die umstritten bzw. ressourcenintensiv sein könnten, wie z. B. die Ausweitung von HIV-Test- und -Beratungsangeboten, den Schutz der Rechte von Frauen und Maßnahmen zur Reduzierung der Gewalt gegen Frauen, die Verbesserung der sexuellen und reproduktiven Gesundheitsfürsorge, die Bereitstellung umfassender Präventionsmaßnahmen gegen Mutter-Kind-Übertragungen, die Ausweitung des Zugangs zu wirksamer HIV-Therapie und die Einführung von Schadensminderungs-Programmen im Kontext des injizierenden Drogengebrauchs. Die Anwendung des Strafrechts auf die HIV-Übertragung ist ein effektives Mittel, um die gesamte Last der Prävention auf die Menschen mit HIV und Aids abzuwälzen, anstatt sie mit den bewährten Methoden dazu zu befähigen, die Weitergabe von HIV zu vermeiden, und andere darin zu unterstützen, sich vor einer Ansteckung mit HIV zu schützen.

Diese Taktik schlägt insbesondere bei Frauen und Mädchen fehl: Das Strafrecht ist hier nur ein höchst armseliger Ersatz für die Verabschiedung und Durchsetzung von Gesetzen und Bestimmungen gegen ihre soziale und wirtschaftliche Ungleichheit und für den Schutz vor geschlechtsbasierter Gewalt. Mitunter führt die Fokussierung auf das Strafrecht dazu, dass den tatsächlich wirksamen Maßnahmen der HIV-Prävention weniger Beachtung geschenkt wird. Zu diesen Maßnahmen gehören z. B.:

  • eine umfassende, altersgerechte HIV-/Aids- und Sexualaufklärung für junge Menschen
  • die Integration der HIV-Prävention in umfassende Angebote zur Förderung der reproduktiven und sexuellen Gesundheit
  • eine Verbesserung des Zugangs zu HIV-Tests und zur HIV-Test-Beratung, zur Behandlung und zu Unterstützungsangeboten
  • ein verbesserter Zugang Kondomen und Femidomen, zur Post-Expositions-Prophylaxe, zu sterilen Spritzen und anderen Methoden zur Senkung des HIV-Übertragungsrisikos für sexuell aktive oder Drogen gebrauchende Menschen, einschließlich des Zugangs zu effektiver antiretroviraler Therapie für Menschen mit HIV, welche die Infektiosität senken kann (die Schweizer Eidgenössische Kommission für Aidsfragen hat Anfang 2008 ein Konsensuspapier veröffentlicht, wonach Menschen mit HIV unter effektiver antiretroviraler Therapie und ohne weitere sexuell übertragbare Infektionen sexuell nicht infektiös sind)
  • verbesserte Programme zur Prävention mit HIV-Positiven
  • Programme, die sich mit den Gründen für eine erhöhte HIV-Vulnerabilität wie z. B. geschlechtsbasierte Gewalt, Geschlechterungleichheiten und Diskriminierung, HIV-Stigma und Diskriminierung sowie Drogengebrauch auseinandersetzen.

Die begrenzten Mittel für die Strafverfolgung zur Verfügung zu stellen, anstatt sie in effektive HIV-Präventionsmaßnahmen und Programme zur Bekämpfung der [einer erhöhten Vulnerabilität] zugrunde liegenden Ursachen zu investieren, stellt einen Missbrauch öffentlicher Ressourcen dar.

"Mauritius hat beschlossen, die potenzielle und auch die tatsächliche HIV-Übertragung nicht unter Strafe zu stellen. Der Gesetzgeber hat eingesehen, dass eine Kriminalisierung der HIV-Übertragung den verfassungsrechtlichen Anforderungen angesichts der Schwierigkeiten der Beweisführung, der vagen Definition des Risikos einer potenziellen Übertragung und der Gefahr einer selektiven Strafverfolgung nicht genügt. Der Hauptgrund für einen Verzicht auf die Kriminalisierung der HIV-Übertragung jedoch war die Angst vor negativen Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit und die Überzeugung, dass die Kriminalisierung keinen präventiven Zweck erfüllen würde. Sie hätte mehr Probleme geschaffen als gelöst. Daher hat Mauritius beschlossen, seine Ressourcen dort zu investieren, wo eine positive Auswirkung auf die Bemühungen zur Eindämmung von HIV am wahrscheinlichsten ist: mehr Mittel für HIV-Tests und -Beratung sowie evidenzbasierte Präventionsmaßnahmen."
(Rama Valayden, Generalstaatsanwalt und Minister für Justiz und Menschenrechte der Republik Mauritius, 2007)

Punkt 9: Anstatt Gesetze zur Kriminalisierung der HIV-Übertragung einzuführen, sollten Bestimmungen, die der HIV-Prävention und -Behandlung im Weg stehen, reformiert werden.

Das Gesetz kann ein nützliches Werkzeug im Kampf gegen HIV sein – wenn man damit vulnerable Gruppen stärkt und ihnen den Zugang zu HIV-Dienstleistungen garantiert, anstatt sie zu bestrafen, sie noch vulnerabler zu machen oder ihnen den Zugang zu HIV-Dienstleistungen zu erschweren. In den meisten Ländern ist der Abbau gesetzlicher Barrieren, die den Zugang zu HIV-Prävention, Behandlung, Betreuung und Unterstützung erschweren, für die Bekämpfung der Epidemie ein essenzieller Schritt. Von entscheidender Bedeutung sind Gesetze gegen die Diskriminierung HIV-infizierter Menschen, zum Schutz vor allen Formen von Gewalt (einschließlich geschlechtsbasierter Gewalt) und zur Schaffung eines gerechten Zugangs zu HIV-Dienstleistungen.

Der Gesetzgeber kann auch an der Reform solcher Gesetze arbeiten, die der HIV-Prävention im Wege stehen. Zum Beispiel werden viele Menschen aus HIV-Risikogruppen – insbesondere Drogengebraucher, Sexarbeiter und Männer, die Sex mit Männern haben – von der Nutzung HIV-bezogener Angebote abgehalten, weil sie fürchten müssen, auf der Grundlage von Gesetzen gegen Drogenkonsum, Prostitution oder „Sodomie“ verhaftet zu werden. Die strafrechtliche Verfolgung von Drogenkonsum, Sexarbeit und Homosexualität fördert die Stigmatisierung von und den Hass auf diese sozial marginalisierten Gruppen, sodass sie sich zurückziehen – auch von Angeboten zur Prävention, Behandlung und Linderung der Auswirkungen von HIV und Aids.

Anstatt mehr Strafgesetze zu verabschieden, sollten die Gesetzgeber

  • Gesetze zum Schutz gleicher Rechte von Frauen und zum Schutz ihres Rechts auf Freiheit von Gewalt verabschieden sowie Ressourcen für die effektive Umsetzung dieser Gesetze bereitstellen
  • rechtliche Einschränkungen des Zugangs zu Kondomen, zu einer umfassenden, altersgerechten Sexualaufklärung und zu Maßnahmen zur Förderung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit beseitigen – einschließlich der Einschränkungen des Zugangs zur Post-Expositions-Prophylaxe, zu Nadel- und Spritzenprogrammen, zu effektiven Drogentherapien (inklusive der Substitutionsbehandlung mit Methadon und Buprenorphin) und zu anderen evidenzbasierten Strategien zur Senkung des HIV-Risikos
  • umfassende Antidiskriminierungsgesetze zum Schutz von Menschen erlassen, die tatsächlich oder vermeintlich mit HIV und Aids leben oder die ein erhöhtes Infektionsrisiko haben, und die für eine effektive Umsetzung dieser Gesetze erforderlichen Ressourcen bereitstellen
  • Gesetze überprüfen und gegebenenfalls aufheben, die vulnerable Gruppen wie Sexarbeiter, Drogengebraucher und Männer, die Sex mit Männern haben, kriminalisieren oder marginalisieren und den Zugang zu wirksamer HIV-Prävention und -Behandlung erschweren
  • Polizeipraktiken reformieren, welche auf Gruppen abzielen, die für Belästigung, Missbrauch und Gewalt vulnerabel sind
  • den Zugang zur Behandlung für alle Menschen mit HIV und Aids sicherstellen
  • Vertreter der HIV-Community und der Wissenschaft in den Gesetzgebungsprozess einbeziehen, um zu gewährleisten, dass die HIV-Gesetzgebung auf wissenschaftlichen und medizinischen Erkenntnissen und nicht auf unbegründeten Ängsten und Stigmatisierungen beruht.

Punkt 10: Am effektivsten sind Maßnahmen, die auf den Menschenrechten basieren.

Heute muss den Menschenrechten im Kampf gegen die globale HIV-Epidemie eine höhere Bedeutung denn je eingeräumt werden. Eine breite Kriminalisierung der potenziellen und tatsächlichen HIV-Übertragung hingegen gefährdet rechtliche Maßnahmen gegen HIV, die Menschen darin unterstützen, HIV-Infektionen zu vermeiden oder erfolgreich mit der HIV-Infektion zu leben.

Die Menschenrechte betonen die Würde – einschließlich der sexuellen Freiheit – aller Menschen und stehen für Bedingungen, unter denen man gesundheitsbewusst, verantwortlich und geschützt Entscheidungen über seine Gesundheit und sein Leben treffen kann.

Diese Bedingungen schließen das Recht auf vollständige und genaue Informationen, auf die Mittel und Methoden für eine umfassende HIV-Prävention und auf das Recht ein, verantwortliche Entscheidungen zum Intimverhalten zu treffen (z. B. in punkto einvernehmlicher Sex oder Schwangerschaft).

Ebenso schließen sie das Recht auf Freiheit von Gewalt, von Angriffen auf die körperliche Unversehrtheit, von Vergewaltigung in der Ehe oder jeder anderen Form von Vergewaltigung und von jeglicher Form von sexueller Nötigung ein.

Sie schließen das Recht auf Freiheit von willkürlicher Festnahme, Diskriminierung, Haft und Gewalt aufgrund von Gesetzen gegen Prostitution, Drogenkonsum und „Sodomie“ ein.Sie schließen den gleichen Zugang zu Eigentum und Erbschaften ein, sodass Frauen und Kinder nicht in die Armut gedrängt werden und sich dadurch ihre HIV-Vulnerabilität erhöht, wenn ihr Mann verstirbt oder die Ehe aufgelöst wird.

Nur wenn Voraussetzungen wie diese erfüllt sind – wenn alle Männer, Frauen und Jugendlichen dazu in der Lage sind, informierte Entscheidungen zu treffen, und Zugang zu den Ressourcen und Angeboten haben, die ihnen ein Handeln im Einklang mit diesen Entscheidungen ermöglichen –, nur dann kann die Ausbreitung von HIV effektiv eingedämmt werden. Eine Kriminalisierung der potenziellen oder tatsächlichen HIV-Übertragung hingegen (mit Ausnahme der Fälle, in denen ein anderer willentlich geschädigt werden soll) ist nicht zu rechtfertigen, denn sie befähigt nicht dazu, HIV-Infektionen zu vermeiden, sondern erschwert dies vielmehr, was sowohl eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit als auch für die Menschenrechtslage darstellt.

"Anstatt das Strafrecht auf die HIV-Übertragung anzuwenden, sollten die Regierungen Programme ausweiten, die erwiesenermaßen die Zahl der HIV-Infektionen senken und dabei die Menschenrechte sowohl der Menschen mit HIV als auch der HIV-Negativen schützen."
(UNAIDS-Papier zur Kriminalisierung der HIV-Übertragung, 2008)